Was bedeutet die 70 %-Grenze bei der Restwertermittlung im Fall eines Haftpflichtschadens?
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Hier geht es um die Frage, ob der Geschädigte bei einer fiktiven Abrechnung den Anspruch auf die Erstattung der Reparaturkosten hat. Oder ob die Abrechnung auf Basis des Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts erfolgen muss. Für den Kfz-Sachverständigen bedeutet dies, dass er bei der Erstellung des Schadengutachtens den Restwert des Fahrzeugs angeben muss.
Gemäß § 249 Satz 2 steht es dem Geschädigten grundsätzlich frei, anstatt einer Reparatur die erforderlichen Reparaturkosten zu verlangen. Dieser Grundsatz wurde durch die Rechtsprechung in einer Reihe von Entscheidungen eingeschränkt: Der Ersatz der Reparaturkosten bei einer fiktiven Abrechnung gilt nur dann ohne Berücksichtigung des Restwerts, wenn die Reparaturkosten 70 % des Wiederbeschaffungswerts nicht überschreiten.
Trotz dieser gefestigten Rechtsprechung versuchen Versicherungen nach wie vor bereits bei Reparaturkosten von 50 % des Wiederbeschaffungswerts, den Geschädigten in die Totalschadenabrechnung zu drängen. Da in diesen Fällen oft keine Restwertangaben im Gutachten stehen, wird ein sehr hoher Restwert durch den Versicherer vorgegeben, der dann die Ansprüche auf Schadensersatz des Geschädigten drastisch verringert.
Festzuhalten ist, dass der Geschädigte Anspruch auf die Erstattung der Reparaturkosten auch bei fiktiver Abrechnung hat, wenn sie nicht 70 % des Wiederbeschaffungswerts erreichen. Man spricht in diesen Fällen von sogenannten „eindeutigen Reparaturfällen“. Nur wenn die Reparaturkosten mehr als 70 % des Wiederbeschaffungswerts erreichen, muss eine Angabe zum Restwert im Gutachten erfolgen. Das Sachverständigenbüro wird dann einen Restwert einholen.
Was passiert bei Überschreiten der 70 %-Grenze im Haftpflichtschadenfall?
Sollten in Ihrem Schadenfall die Reparaturkosten über 70 % des Fahrzeugwerts liegen, haben Sie bei einer fiktiven Abrechnung unter gewissen Bedingungen trotzdem Recht auf die Erstattung sämtlicher Reparaturkosten.
Zuerst einmal wird die gegnerische Versicherung die Regulierung auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwands durchführen. Dies bedeutet, die Versicherung übernimmt die Kosten für den Wert des Fahrzeugs abzüglich des Restwerts des beschädigten Fahrzeugs.
Ein Beispiel der 70 %-Grenze:
- Der Wiederbeschaffungswert (Wert vor dem Unfall) Ihres Autos beträgt 10.000 €
- Die festgestellten Reparaturkosten belaufen sich auf 9.900 €
- Der ermittelte Restwert (Wert nach dem Unfall) Ihres Fahrzeugs liegt bei 4.000 €
- Die Versicherung zahlt zunächst den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts, also 6.000 €
Da im genannten Beispiel die Reparaturkosten über 70 % des Fahrzeugwerts liegen, musste hier ein Restwert eingeholt werden. Somit haben Sie von der Versicherung zunächst nur 6.000 € von den Ihnen zustehenden 9.900 € erhalten. Es fehlen Ihnen 3.900 € der festgestellten Schadenssumme. Auf diesen Restbetrag müssen Sie nicht verzichten! Unter gewissen Bedingungen erhalten Sie die fehlenden 3.900 €: Laut gängiger Rechtsprechung müssen Sie in so einem Fall lediglich den Willen der Weiternutzung belegen und können dann nach sechs Monaten den Restbetrag einfordern. Um diesen Willen zu beweisen, müssen Sie Ihr Auto nur in einen verkehrssicheren und fahrbereiten Zustand versetzen und sechs Monate weiter nutzen.